Night in the Woods

Ich schiebe dieses Posting schon seit Monaten vor mir her. Eigentlich wollte ich es machen, kurz nach dem ich “Nigth in the Woods” (NITW) fertig gespielt hatte. Aber wo soll ich anfangen? Es gibt einfach so viel darüber zu schreiben!

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Entdeckt hatte ich das Spiel durch einen Link-Tipp auf FM4. Für alle, die nur Deutsch können, hier die Enttäuschung: Es gibt bisher nur die englische Originalversion. Ein weiterer Grund, Englisch zu lernen.

Ich war anfangs etwas verwirrt durch die Spielmechanik. Die Steuerung der Charaktere erfolgt wie in Jump-And-Run-Spielen mit den Tasten oder mit einem Controller, und eben nicht mit der Maus, wie bei Point-And-Click-Spielen üblich. Trotzdem fühlt es sich aber eher wie ein solches an. Man wandert durch die Kleinstadt Possum Springs im “Rust Belt” der USA, redet mit anderen Charakteren, erforscht die Umwelt und sammelt manchmal sogar Dinge auf, wie in einem Point-And-Click-Spiel. Zwischendurch gibt’s Minigames. Und eigentlich ist es nicht wirklich ein Computerspiel, eher eine interaktive Graphic Novel. Die über 10-stündige Handlung besteht zu einem großen Teil aus Dialogen.

Zur Handlung: Eine junge Frau zieht nach dem Studienabbruch wieder bei ihren Eltern ein, trifft ihre alten Freunde aus der Schulzeit und beobachtet den steten Verfall der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist. Zufällig entdeckt sie mit ihren Freunden ein schreckliches Geheimnis…

Aber es geht hier streckenweise weniger um eine konkrete Handlung. Das Spiel baut eine dichte Atmosphäre auf, nicht zuletzt auch durch den ausgezeichneten Soundtrack von Alec Holowka. Die Musik (1, 2, 3) ist nur vordergründig poppig-leicht, viele Stücke haben eine melancholische Schwere (die wohl auf Alec’s elegische Persönlichkeit zurückgeht). Doch nicht nur das gibt dem Spiel eine bittersüße Grundstimmung. Hier geht es um den Abschied von der Kindheit, als auch das langsame Sterben des Ortes, an dem man aufgewachsen ist. Und das passenderweise in den Tagen vor Halloween, wenn die Sonne tief steht, Eichhörnchen ihren Wintervorrat sammeln und der Herbstwind die bunten Blätter tanzen lässt.

Da könnte man als Spieler gleich in eine saftige Depression verfallen, hätte NITW nicht eine so liebenswerte Bilderbuchgrafik. Die handelnden Personen sind knuffige anthropomorphe Tiere. Die Protagonistin Mae Borowski ist eine schwarze Katze, ihr Kumpelfreund ein hyperaktiver Fuchs mit einem Hang zum Kleinkriminellen und ihre beste Freundin aus der Schulzeit ein kettenrauchendes Krokodil mit großem Anch-Kreuz-Anhänger.


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Tiere: Mal antropomorph, mal zoomorph.

Die grafische Einfachheit der Charaktere steht in krassem Gegensatz zu deren detailliert und liebevoll ausgearbeiteten Persönlichkeiten. Diese können absolut überzeugen und machen den eigentlichen Reiz von NITW aus. Das Konzept, einfache Grafik vs. komplexe Figuren erinnert mich an das Comic “American Elf” von James Kochalka.

Eine der stärksten Momente in NITW ist, (Spoiler) als Mae im Kapitel “Dance Party” versehentlich ein Geheimnis von Bea aufdeckt. Der krasse Gegensatz zwischen der einfachen Grafik und der lebensnah-realistischen Handlung, wie auch der Gegensatz zwischen den Charakteren Mae und Bea, berührte mich auf vielen Ebenen. Das ist große Kunst!

Das Ende (Spoiler)

Viele Adventure-Games haben ihre Schwächen im Ende der Geschichte. Hier zieht sich NITW geschickt aus der Affäre. Mae und ihre Freunde entdecken eine Gruppe von Verschwörern, die gesellschaftliche Außenseiter einem schrecklichen Gott in einem Minenschacht opfert. Doch dieser Gott, der eine Figur aus einem Roman von H. P. Lovecraft sein könnte, wird niemals in seiner wahren Gestalt gezeigt. Sequenzen aus Mae’s Träumen nehmen einen Teil der Handlung des Spieles ein. Sie deuten sowohl auf kosmische, gottähnliche Horrorwesen als auch auf ein schweres psychisches Problem von Mae hin. Entstammt der Gott aus Mae’s Träumen oder sind Mae’s Träume gar eine Kommunikation mit diesem Gott? Es bleibt offen, was Realität und was Halluzination ist – so ist zumindest mein Eindruck.

Noch eine Anmerkung: Ich habe das Gefühl, dass Mae ursprünglich ein Kater sein sollte und erst später in eine weibliche Hauptfigur geändert wurde.

Die Tragödie – ein Nachsatz

Indie-Gameentwicklerin Zoë Quinn beschuldigte Alec Holowka, einen der Chefentwickler von NITW und verantwortlich für den Soundtrack, des physischen und psychischen Missbrauchs. Das restliche Team von NITW distanzierte sich in der Folge von Alec. Dieser nahm sich daraufhin das Leben. Die Internetgemeinde ist seither gespalten in eine Gruppe, die Alec die Übergriffe in dieser Form zutraut und eine andere, die Zoe als notorische Lügnerin bezeichnet.

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